Ein gutes Leben für alle – Sozialstaat statt Rüstungsstaat
von Anne Rieger, Bundesausschuss Friedensratschlag
Ob ein Land lebenswert ist, zeigt sich darin, ob es Orte für Bildung, Kultur, Kommunikation, Begegnungen, Veranstaltungen, Ausstellungen hat. Ob es dafür ausreichend qualifiziertes und gut bezahltes Personal zur Verfügung stellt. Es zeigt sich darin, wie es mit der Älteren Generation, mit Kranken, Pflegebedürftigen, mit wirtschaftlich schlechter Gestellten umgeht.
Deutschland ist eines der reichsten Länder auf unserm Planeten. Aber in diesem reichen Land sind 3,2 Mio. RentnerInnen von Armut bedroht. Da darf kein Kühlschrank kaputt gehen. Fürs Vergnügen reicht das Geld nicht. Kein Kaffee, kein Kuchen, kein Theater, keine Weihnachtsgeschenke für die Enkelkinder. Wir sprechen jedoch nur über die, die jetzt bereits von ihrer kärglichen Rente leben müssen. In Zukunft werden es noch viel mehr sein. Denn jedes fünfte Kind in Deutschland ist dauerhaft arm. Heute schon! Was wird sein, wenn diese Kinder in Rente gehen? Die Regierung dieses reichen Staates wird ihnen vorher das Hungereinkommen von Hatz IV bezahlen, derzeit sind das für Erwachsene 409 Euro. Für Kinder beim noch schmaleren Budget ist dabei keine Kugel Eis vorgesehen, ebenso wenig Malstifte. Aus dieser Armut kommt man nicht mehr heraus, berichten Wissenschaftler. Noch schlimmere Altersarmut der nächsten Generationen ist programmiert – im reichen Deutschland.
Zwei Prozent des BIP – fast eine Verdoppelung
Wohin der von uns erarbeitete Reichtum fließt, zeigt der Rüstungsetat. Der zweitgrößte Posten des Bundeshaushalts ist aktuell mit 38,5 Mrd. unserer Steuern ausgestattet. Was der Regierung Kriegsvorbereitung und Kriegsbeteiligung tatsächlich wert ist, zeigt die geplante Steigerung des „Verteidigungsetats“ auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Er wird von jetzt 1,3 Prozent nahezu verdoppelt. Die jährlichen Mehrausgaben von zusätzlichen 30 Mrd. Euro sind soviel, wie die einmalige Sanierung der maroden deutschen Schulen kosten würde. Würde die Regierung also eine einzige Jahreserhöhung des Rüstungsetats für die Schulen unserer Kinder verwenden, müssten diese nicht mehr jeden Tag in Häuser mit undichten Dächern, kaputten Heizungen, durchnässten Kellern, ramponierten Sportplätzen, kaputten Fenstern, schimmligen Wänden, stinkenden Toiletten, bröckelnden Putz gehen. Aber statt es unseren Kindern zukommen zu lassen, sind schon heute fürs Jahr 2021 – ohne die Zwei-Prozent-Planung – 42,4 Mrd. Euro für die Behübschung der Bundeswehr vorgesehen.
5 Prozent für Kriege –
1,2 Prozent für Hartz IV
Die scheinbare Perversität, wie mit unseren Steuergeldern umgegangen wird, zeigt sich an zwei Zahlen: Während der Militäretat in diesem Jahr auf 37 Mrd. Euro, also um 5 Prozent erhöht wurde, wurde der Regelsatz für Hartz IV Empfänger von 404 auf 409 Euro erhöht, also um nur 1,2 Prozent.
Tatsächlich ist die Perversität nur scheinbar. Es gibt ein rationales Interesse an dieser massiven Erhöhung der Steuergelder für die Bundeswehr. Von wem? Ganz unmittelbar ziehen die Aktionäre der Rüstungsindustrie enorme Profite daraus. Aber sie sind es nicht allein. Zur Ausweitung und Sicherung ihrer Profite sind die Aktionäre von Banken und Großkonzernen an einem starken militärtechnisch auf höchster Ebene stehenden Staat interessiert. Denn im globalisierten Kapitalismus findet ein brutaler Konkurrenzkampf um wirtschaftliche und politische Einflusssphären, um Vorherrschaft, zwischen den kapitalistischen Banken und Großkonzernen statt. Auf staatlicher Ebene realisieren ihn die regierenden Eliten. Es geht um Absatzmärkte, Ressourcen, Rohstoffe, Transportwege, Stützpunkte und billige Arbeitskräfte.
Abrüsten statt Aufrüsten
Abrüsten statt Aufrüsten ist der Sand, den wir ins Getriebe der zunehmenden Kriegsgefahr werfen müssen. Gelingt es, die zweiprozentige Aufrüstung zu stoppen, sogar Abrüstungsschritte zu erzwingen, würde nicht nur die Kriegsgefahr gestoppt werden, sondern für den zivilen Bereich würden Gelder frei für Schulen und Kinderpädagogische Einrichtungen, sozialen Wohnungsbau, öffentliche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sowie Nah- und Fernverkehr, Kommunale Infrastruktur, eine Sicherung für ein Altern in Würde, ökologischen Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe. Für eine entsprechend große Anzahl von zusätzlichen qualifizierten Beschäftigten, die mit kurzer Vollzeit und tariflich guten Einkommen entlohnt würden, wäre ebenfalls Geld da. Sie kosten – auch bei guter Bezahlung – weniger als die hochdotierten Rüstungsbeschäftigten. Die Einkommen würden als zusätzliche Kaufkraft in den Binnenmarkt fließen und nicht wie geplant, in die Hände der Profiteure der Rüstungsindustrie und Rüstungspolitik.
Neben dem sofortigen Stopp des Rüstungsetats sind weiterreichende Möglichkeiten denkbar: Eine Verringerung des Rüstungsetats um jährlich zehn Prozent, der sofortigen Stopp aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und die Abschöpfung der Gewinne für soziale Zwecke. Die Rüstungsexporte sind zu stoppen und ein umfassendes staatliches Konversionsprogramm zur Erhaltung der Arbeitsplätze derjenigen, die in der Rüstungsindustrie arbeiten, muss unmittelbar in die Wege geleitet werden, verbunden mit einer drastischen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und einem früheren Renteneintrittsalter.
Keine Frage, dazu braucht es eine breite Bewegung mit Bündnispartnern unter den Erwerbslosen, Beschäftigten, RentnerInnen bis weit in die Mittelschichten hinein. Organisierte Verbündete wie Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung, EntwicklungshelferInnen und NGO’s fortschrittlicher Natur. Freilich, ohne die Eigentumsfrage zu stellen, die Vergesellschaftung – und im ersten Schritt die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie – zu fordern, werden wir nicht weiter kommen. Es braucht den gesellschaftlichen Druck von unten in unserem Land, aber auch darüber hinaus. Nur gemeinsam werden wir Atomwaffen, Giftgas, Mordswaffen erst verringern und dann abschaffen können.
Eine Utopie? Mag sein. Aber wir müssen uns die Frage stellen – beantworten und entsprechend handeln:
Wie wollen wir leben?
Wie wollen wir, dass unsere Kinder leben können?
Zukunftsvision Friedensrepublik
Unsere Vision ist eine Welt, in der Frieden, gelebte Demokratie und soziale Absicherung für alle Bürger eines Staates sowie der Erhalt der Natur Realität sind. Humanistische Einstellungen werden die vorherrschenden Werte sein. In dieser Welt wird es keinen Raum geben für Egoismen wie Rassismus, Nationalismus, Standortlogik und überhebliches Großmachtdenken und Krieg. Angst vor Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter sind überwunden, Gewalt gegen Fremde und Andersdenkende ist ausgemerzt. Vernichtungswaffen und militarisierte Außenpolitik gehören ebenso der Vergangenheit an wie staatliche Repression gegen Opponenten.
Der Weg in eine friedliebende, antifaschistische Gesellschaft ist noch weit – davor verschließen wir die Augen nicht. Unser Zukunftstraum verstellt uns nicht die Sicht auf die heutige Realität. Aber er gibt uns humanistische Kriterien an die Hand, nach denen wir die heutige Gesellschaft beurteilen und unsere nächsten Schritte ableiten: Wir müssen ein gesellschaftliches Klima für Abrüstung statt Aufrüstung schaffen, sowohl bei Beschäftigten der Rüstungsindustrie als auch in der Gesellschaft insgesamt. Dazu müssen wir über die massiven Gewinne der Kapitaleigner durch die Ausbeutung der Arbeitskraft der RüstungsarbeiterInnen und –forscherInnen informieren. Die Macht- und Profitverhältnisse der Kapitaleigner und ihrer Regierungen müssen wir erklären, aber auch deutlich machen, dass sie nicht in Stein gemeißelt sondern veränderbar sind.
Es geht um das Überleben der gesamten Bevölkerung.
der Artikel wurde zuerst veröffentlicht im FriedenJournal Nr. 6/2017, herausgegeben vom Bundesausschuss Friedensratschlag