14. Gibt es neben dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO weitere Gründe für eine Politik der Abrüstung?
Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO ist nicht die einzige aktuelle Heraufforderung für Menschen, die in Frieden und Sicherheit leben wollen. Bisher haben Abkommen zwischen Atommächten erfolgreich das Atomkriegsrisiko und auch die Rüstungskosten begrenzt. Die Kündigung von Abrüstungsabkommen zur Begrenzung von Atomraketen bedroht nun zusätzlich zu den konventionellen Aufrüstungsplänen der NATO den Frieden und erhöht bei Stationierung neuer Atomraketen in Europa das Risiko eines Atomkrieges.
Blicken wir kurz zurück. Es kam in Europa nach Beendigung des kalten Krieges und zu Zeiten einer starken Friedensbewegung zum bedeutsamen INF-Vertrag[1] (Intermediate Nuclear Forces Treaty) zwischen der Sowjetunion und der USA. Mit Atomsprengköpfen bestückte Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern wurden ab Juni 1988 aus Europa entfernt, vernichtet und mit Produktionsverbot belegt. Der Vertrag gilt als Meilenstein der internationalen Rüstungskontrolle, da erstmals eine ganze Kategorie an Nuklearwaffen verboten wurde und gleichzeitig Kontrollmechanismen zur gegenseitigen Verifizierung in den Vertrag aufgenommen wurden. Bis 1991 wurde der Vertrag erfüllt und kontrolliert. Der INF-Vertrag schuf die Grundlage, um auch über konkrete Abrüstungsziele zu verhandeln. Beispielsweise wurde mit dem START-Abkommen[2] die Anzahl an strategischen Nuklearwaffen und Trägersystemen in den USA und Russland begrenzt. Nach Auslaufen des Abkommens folgten langwierige Verhandlungen zu den Folgeverträgen. Unter US-Präsident Obama wurde schließlich 2010 NEW START[3] unterzeichnet und trat im Februar 2011 in Kraft. Auf diesen Verträgen, zusammen mit dem Raketenabwehrvertrag (ABM[4]) und dem Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE)-Vertrag[5] wurde die heutige Sicherheit Europas aufgebaut. Diese Verträge erodieren allerdings zunehmend. Die USA zogen sich unter George W. Bush bereits 2001 aus dem ABM-Vertrag zurück.
Das gleiche Schicksal hat nun den INF-Vertrag ereilt. Schon seit 2013 verdächtigen sich beide Vertragsparteien gegenseitig, gegen die Vereinbarungen zu verstoßen. Die USA werfen Russland vor, mit der Entwicklung eines neuen Marschflugkörpers gegen die Vorgaben des INF-Vertrags zu verstoßen. Gleichzeitig erhebt Russland den Vorwurf, das von den USA in Rumänien stationierte Raketenabwehrsystem sei nicht vertragskonform. Anfang Februar 2019 kündigten die USA den INF-Vertrag. Wenn es nicht zur Erneuerung kommt, dann wird der INF-Vertrag in wenigen Monaten seine Geltung verlieren und noch 2019 wird eine neue Runde des Auf- und Wettrüstens in Europa einsetzen. Da die US Regierung ebenfalls plant, das New START Abkommen über 2021 nicht weiter zu verlängern, stünde einer nuklearen Konfrontation rechtlich nichts mehr im Wege und die Bedrohung einer erneuten Aufrüstung mit Kurz- und Mittelstreckenraketen wäre wieder ein reales Szenario.
Eine starke Friedensbewegung kann Politik unter Druck setzen, schließlich zu Abrüstungskontrollverträgen und mit wirklichen Abrüstungsschritten führen. Die Friedensbewegung mobilisierte Anfang der 1980er Jahre in Westeuropa und den USA gegen die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Europa Millionen Menschen und bestimmte über einige Jahre das politische Klima wesentlich und wirksam mit. Die Friedensbewegung[6] organisierte nicht nur in Westeuropa die bis dahin die größten Massendemonstrationen und hatte einen wirksamen Anteil am Zustandekommen des INF-Vertrages und anderer Abrüstungsabkommen, die jetzt in Gefahr sind.
Autor: Uwe Wötzel, ver.di Bundesverwaltung, Bereich Politik und Planung
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/INF-Vertrag
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Strategic_Arms_Reduction_Treaty
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Strategic_Arms_Reduction_Treaty#New_START
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/ABM-Vertrag
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_%C3%BCber_Konventionelle_Streitkr%C3%A4fte_in_Europa
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensbewegung#Gegen_den_Nato-Doppelbeschluss