„Abrüsten statt aufrüsten“ – eine Kampagne gegen Militarismus und Krieg
ein Beitrag von Reiner Braun, geschrieben für das Buch des Friedensratschlags vom 1./2.12.2018.
„Abrüsten statt aufrüsten“ – eine Kampagne gegen Militarismus und Krieg
130.000 Unterschriften am Ende 2018 sind der materielle Ausdruck der Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“, die sich gegen den Beschluss der NATO und der Bundesregierung richtet, 2% des Bruttoinlandproduktes für Rüstung auszugeben (Aufruf und Erstunterzeichner*innen siehe Anlage 1). Damit ist die Unterschriftensammlung unter den Aufruf abrüsten statt aufrüsten nach gut einem Jahr seit ihrer Veröffentlichung im November 2017 die größte Unterschriftensammlung der Friedensbewegung der letzten 20 Jahre.
Das ist ein herausragendes Ergebnis, zeigt aber auch, was wir alles noch nicht erreicht haben, vergleicht man die Kampagne mit der Entwicklung des Krefelder Appells in den 80er Jahren. Andere Situationen, andere Zeiten, andere Ergebnisse. Realistisch bleiben ist sicher die Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterentwicklung. Diese ist möglich, das zeigt nicht nur aber auch der Beschluss des DGB Bundeskongresses (Mai 2018) für die Unterstützung der Kampagne und damit die Ablehnung der 2% Aufrüstungsabsichten der NATO. Dieser Beschluss verdeutlicht, dass wieder wachsende Engagement der Gewerkschaften für Frieden und Abrüstung.
Erfolgreiche Aktionstage prägten die Kampagne Anfang November, erfolgreich was die Vielfalt der Veranstaltungen angeht, die an über 40 Orten stattfanden. Sicherlich noch nicht ausreichend, was die Beteiligung an den einzelnen Veranstaltungen betraf. Demonstrationen und Kundgebungen wie in Hamburg oder Leipzig waren die Ausnahme. Trotzdem ist die deutliche Zunahme der „Straßenpräsenz“ ein ausgesprochen positives Ergebnis.
Wir haben mit „abrüsten statt aufrüsten“ viele ins Boot geholt, salopp gesagt: einige mehr und andere weniger. Eine Organisation, die „wir“ mehr ins Boot geholt haben oder besser formuliert, die sich umfassend engagiert ist die DKP. Sie unterstützt eigenständig die gemeinsame Kampagne. Die von ihr gesammelten 30.000 Unterschriften sind für mich ein Musterbeispiel wie man als Organisation eigenständig und initiativ eine gemeinsame Kampagne unterstützen kann. Das Engagement von anderen linken Parteien ist nicht vergleichbar, das wird offensichtlich, wenn man sich die gesammelten Zahlen anguckt. Da ist noch viel Luft nach oben.
Die regierende Politik erfordert eine weitere Intensivierung der Kampagne. Politisch hatten wir Ende November 2017 zwei hochinteressante Konferenzen. Eine im Auswärtigen Amt, die nannte sich „Foreign Policy Forum“, die andere „Berliner Sicherheitskonferenz“ wurde vom „Verteidigungs“ministerium durchgeführt. Diese Tagung wurde eröffnet durch die „Verteidigungs“ministerien Ursula von der Leyen. Die Teilnehmer (meistens Männer) kamen aus der Industrie, der Bundeswehr, der Diplomatie. Die Konferenz beschäftigte sich aus Sicht der politischen Eliten mit strategischen Fragen der „Verteidigungs“politik.
Das Foreign Policy Forum des Auswärtigen Amtes ist ein Strategieforum des Auswärtigen Amtes. Es besteht seit der Amtszeit von Siegmar Gabriel und beschäftigt sich mit strategischen Überlegungen zur internationalen Politik. Bestimmte politische Stichworte, die Programm sind spielten bei beiden Konferenzen eine zentrale Rolle: das erste ist die Unterstreichung der Notwendigkeit 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung bereit zu stellen. Dieses – so die Konferenzbeiträge von Außenminister Maas und „Verteidigungs“ministerin von der Leyen – muss sein und zwar im Kern nicht wegen US-Präsident Trumps permanenten Insistieren und seines politischen Druckes sondern – und das ist jetzt der neue Begriff – für die „strategische Autonomie“ Deutschlands und Europas. Strategische Autonomie heißt, Deutschland in Europa und Europa müssen selbst so hochgerüstet, so militärisch ausgerüstet und bewaffnet sein, dass sie eigenständig aber vernetzt Krieg führen können. Dafür brauchen die Regierungen Der Europäischen Union das 2% Ziel. Logischerweise hat die EU dieses auch als Ziel ihrer eigenen Militarisierung beschlossen
Zweiter zentraler Kernbegriff zur Begründung der Aufrüstung ist die „Weltmachtkonkurrenz“. Auch dieser Begriff zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenzen. Deutschland und Europa ist nicht mehr in der für sie „angenehmen“ Situation, dass es eine (befreundete) Supermacht USA und ihr uneingeschränktes Engagement in Europa, sondern in einer Situation, wo es verschiedene Machtkonstellationen auf dieser Welt und eine nationalistische Positionierung der US-Politik gibt. Rivalisierend wird um Einfluss gekämpft, die Hegemonie in einer sich neu entwickelnden multipolaren Weltordnung ist nicht entschieden. Auch unter „Freunden“ gibt es verstärkte Konkurrenzverhältnisses, politische Gegner werden stärker, neue Bündniskonstellationen entwickeln sich. Deutschland als führende Macht in Europa muss – so die Position der politischen Eliten – in diesem Weltmachtszenario eine führende auch militärische Rolle spielen. Dafür brauchen wir die 2% Aufrüstung.
Dritter zentraler Begriff, der besonders in dem Beitrag des Außenministers auftauchte heißt „Unsicherheitsfaktoren“, bewusst im Plural formuliert. Diese Welt ist so unsicher, also brauchen wir mehr Panzer, das ist die primitive Logik. Da spielen dann natürlich die erklärten Feindbilder und Aggressionskonstruktionen, wie Putin, der Konflikt in und um die Ukraine China etc. eine zentrale Rolle. Die Konsequenz aller Begründungen ist immer: wir müssen mehr rüsten.
Ein weiterer Punkt durchzog besonders das Strategieforum im Auswärtigen Amt. Die Beschreibung der neuen Rolle der Europäischen Union n Konkurrenz und Kooperation mit den USA und gleichzeitig die Rolle Deutschlands in diesem Europa. Fazit der Diskussion: ohne eine militärische Supermacht Europas gibt es keine politische Supermacht Europas in der Welt. Der ökonomische Einfluss reicht nicht aus. Deswegen sind die 2% unverzichtbar.
Frau von der Leyen hat auf der Konferenz im Verteidigungsministerium auch finanziell noch einmal nachgelegt: wir brauchen 32 Milliarden Euro sofort mehr an Rüstungsausgaben um die neuen Rüstungsausgaben, die im Ministerium alle schon geplant wurden, zu finanzieren. Sie nannte dann u.a. als nicht oder unterfinanziert das neue allumfassende Kampflugzeug also den Nachfolger des Eurofighter, einen neuen militärischen Lastkraftwagen, das Truppen- und Materialtransportflugzeug A 440, das seit 20 Jahren in der Diskussion ist und jedes Jahr mehr Geld verschlingt sowie die Marine Korvetten. Dafür braucht die Frau Verteidigungsministerin sofort 32 Milliarden. Die Debatte über den Rüstungshaushalt 2020 ist eröffnet!
Es geht also – und vielen haben das ja immer bestritten – nicht um 60 Milliarden, es geht letztendlich um die 85 Milliarden – um reale 2% das Bruttoinlandsprodukt für Rüstung. Wir sollten uns auch nicht irre machen lassen, wenn rot-grüne „politische Verharmloser“ sagen, bei 60 Milliarden wird stehengeblieben. Das können sie zwar sagen, hat aber mit politischen Realitäten und geostrategischen Entwicklungen nichts zu tun. Es geht real um die 2%, die will die Regierungspolitik durchsetzen und dafür haben sie strategische politische Kettenglieder formuliert. Dazu gehört nicht zuletzt PESCO und auch die von der Bundesregierung mitgetragenen Interventionsinitiative von Frankeichs Präsidenten Macron. Das sind Kettenglieder der EU-Militarisierung, die nichts anderes heißt, als im engen Schulterschluss mit Frankreich und als eines der wenigen verbleibenden Gemeinsamkeiten der EU, überall wo es politische für notwendig erachtet wird, Krieg führen zu können. Deutsche Politik liebt die französisch initiierte Interventionsinitiative nicht besonders, nicht wegen der Kriege, sondern weil sie zu viel mit Macron teilen muss.
Diese Entwicklungen betonen und untermauern den Stellenwert unserer Kampagne, sie ist so etwas wie das Herz, die Aorta unserer Antwort auf diese gigantische Militarisierung. Sie ist der Kern des Widerstandes, das Elixier des Protestes, der sich den Aufrüstungsplänen entgegenstellt. So schwach die Kampagne auch noch sein mag. Politisch ist es die!! Antwort. Ohne die Materialisierung der Aufrüstung, ohne die 2% sind die EU und die NATO nicht umfassen kriegsführungsfähig, weil die Waffensysteme, die sie für die Kriegsführung brauchen, nicht bereitstehen.
Diese Aufrüstung hat aber neben materiellen auch noch „geistige“ oder gesellschaftliche Komponenten: nach der erfolgreichen Umsetzung der 2% Aufrüstungsziele werden wir auch ein anderes geistiges und gesellschaftliches Klima in diesem Lande haben. Dies wird noch wesentlich mehr militarisiert sein als heute. Es geht bei der Ablehnung der 2% nicht nur um die Sicherung von Resten des Sozialstaates, ökologische Gestaltung und Bildung, es geht auch um die Ablehnung der geistigen oder inneren Aufrüstung der Gesellschaft, die mit diesen 2% untrennbar verbunden ist.
Die Kampagne abrüsten ist damit die politische Ansage an die Aufrüstungspolitik – und jetzt benutze ich einmal diese Worte, da es ja diese Kritik von „links“ gibt: diese Kampagne ist antiimperialistisch und auch antikapitalistisch, weil sie sich gegen die entschieden kriegstreibenden Kräfte des herrschenden politischen und ökonomischen System und seiner imperialen/imperialistischen Ausrichtung richtet und versucht, dieses System zu schwächen oder mindestens einzudämmen.
Diese Kampagne ist auch Teil einer Politik der „Freundschaft mit Russland“, denn nur wenn diese wahnsinnige Aufrüstung abgewehrt wird, kann es eine Grundlage für partnerschaftliche Beziehungen mit Russland geben. Ist es vorstellbar, dass Präsident Putin nach Vollzug der gegen Russland gerichteten Aufrüstung nach Berlin kommt und sagt: jetzt seid ihr uns richtig freundschaftlich willkommen. Das kann und wird es nicht geben. Auf den Spitzen von Raketen ist Freundschaft nicht möglich.
Aufrüstung ist ein zentraler permanenter Verstoß gegen die Menschenrechte, sowohl weil Aufrüstung zu Kriegen führen, als auch weil Aufrüstung die Ressourcen vernichtet, die für ein sonnvolles Leben notwendig sind. Rüstung tötet täglich! Die Verteidigung der Menschenrechte im umfassenden Sinne ist ein zentrales Anliegen der Friedensbewegung und niemals der kriegsbefürwortenden Menschenrechtsapologeten vielfältigen Couleurs
Die Forderung nach Abrüstung ist eine humanistische aber auch antikapitalistische Antwort auf Aufrüstung und Kriegspolitik. Hinter diese Aussage steht ein strategischer Gedanke der Kampagne: welche politische und gesellschaftliche Breite soll und kann die Kampagne erreichen, wen alles können wir für die Unterstützung der Kampagne gewinnen. Diese sollte konservativ wertorientierte über bürgerlich-humanistisch, sozial und sozialistisch bis zu autonom linksradikalen Positionen einbeziehen. Um diese politische Breite müssen wir ringen. Ausgrenzungen und Sektiererei hätten verheerende Auswirkungen, würden den Erfolg schon in der Entwicklung gefährden.
Im zeitlichen Zusammenhang mit den beiden erwähnten Konferenzen wurde eine neue Umfrage der Körber Stiftung veröffentlicht, die diese im Auftrag der beiden Veranstalter durchgeführt hat. Jetzt muss man nicht jede Zahl dieser Umfrage auf die Goldwaage legen, aber die Tendenz kommt der Realität sicher ziemlich nahe. Nach der Umfrage sagen 53% der Befragten dieser repräsentativen Umfrage wir brauchen keine Aufrüstung oder Abrüstung. 40% sprechen sich gegen Aufrüstung aus, 13% fordern sogar Abrüstung. Aber die anderen 40% sagen, dass Deutschland aufrüsten muss. Die Befürworter*innen haben gegenüber der Umfrage vor zwei Jahren leicht zugelegt Die Zahlen und ihre Entwicklung verdeutlichen, es findet eine gesellschaftliche geistige bzw. propagandistische Auseinandersetzung statt. In der offiziellen Politik und den Medien wird diese mit großer Intensität, eheblichen materiellen Aufwendungen und der umfassenden Entwicklung von politischen und ideologischen Feindbildern führt. Trotzdem sind die Ausgangsbedingungen für die Friedensbewegung nicht schlecht. Mehr als 50%sind schon zu Beginn der Kampagne regierungskritisch. Bei der Debatte um die Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren waren die Prozentzahlen am Anfang der Auseinandersetzung 1979/80 lange nicht so gut. Erst im Zuge der intensiven kontroversen gesellschaftlichen Debatten und der großen Aktionen ergab sich eine deutliche Antiraketenmehrheit.
Die Umfrage – wie kritisch man im Einzelnen zu ihr stehen mag (siehe auch die konkreten Fragestellungen) – ist eine Ermutigung, diese Kampagne aktiv fortzusetzen.
Es gibt auch noch einen weiteren – nach Innen in die Friedensbewegung gerichteten – Grund, aktiv weiterzumachen. Die Kampagne ist zu einem einigenden Faktor der Friedensbewegung geworden. Gerade als jemand, der sich in den Auseinandersetzungen der letzten Jahre eindeutig für Erneuerung, Erweiterung und Veränderung und damit auch kontrovers positioniert hat, spüre und erlebe nicht nur ich deutlich, wir haben wieder viel mehr gemeinsam, agieren solidarischer und bei allen sicher vorhandenen Unterschieden gemeinsamer. Diesen Faktor sollten ja müssen wir angesichts der Herausforderungen weiter ausbauen. Schon viel zu lange haben unsachliche Kontroversen (nicht inhaltliche Debatten) gemeinsames Handeln vorsichtig formuliert erschwert.
Die Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“ ist ein Angebot an alle, das Beste daraus zu machen. Sie gibt alle Freiheiten, alle Möglichkeiten, eine Vielfalt für eigenes Gestalten. Sie hat kein Zentralkomitee, sie hat keinen und keine, die irgendetwas vorgeben, sie ist ausschließlich ein Angebot. Der kleine Arbeitsausschuss aus sieben Personen, der sich erst um seine eigene Einigung immer wieder bemühen muss, macht sicher keine Vorgaben: Er nimmt Vorschläge aus den Initiativen auf. Bestenfalls schlägt er einmal etwas vor. Er bemüht sich Gedanke, die von den vielen Aktiven kommen aufzugreifen und voranzutreiben. Bisher durchaus mit Erfolg. Dezentralität ist der Trumpf und die Stärke der Kampagne, Eigenaktivität der Menschen vor Ort ihr Lebenselixier.
In welche Richtung können wir uns nun vorstellen, könnte es mit der Kampagne 2019 weitergehen. Wir greifen Gedanken und Überlegungen aus vielen Diskussionen auf, ergänzen sie aber auch mit eigenen Anregungen aus unseren Diskussionen im Arbeitsausschuss und in den verschiedenen Strukturen der Friedensbewegung. Alle sind aufgefordert, kritisch, nachdenklich und optimistisch sich an den weiteren Planungen zu beteiligen. Die Aktionskonferenz im Februar sollte dann eine mögliche gemeinsame
Wir müssen über eine Internationalisierung der Kampagne nachdenken. Einmal etwas zugespitzt formuliert: alleine in Deutschland und durch die deutsche Friedensbewegung werden wir die 2% Aufrüstungspläne der NATO und der EU nicht verhindern. Ohne die gemeinsamen Aktivitäten mindestens mit den wichtigsten europäischen Partnerinnen und Partnern werden wir es nicht schaffen. Gerade in Vorbereitung der Europawahlen sollten wir uns intensiv Gedanken machen, wie wir zu einer Internationalisierung der Kampagne kommen. In Vorbereitung und Durchführung der Aktionen zum 70. Geburtstag der NATO in Washington Anfang April könnte es zu einer engeren Zusammenarbeit und Abstimmung mit der US Friedensbewegung (und der in Kanada) kommen. Wir haben in Deutschland vorgelegt, jetzt sollten wir die Überlegungen gemeinsam weiterentwickeln. Alle sind betroffen! Das internationale Friedensbüro (IPB) als weltgrößtes Friedennetzwerk, wird dazu sicher weitere seinen aktiven Beitrag leisten (siehe den internationalen vom IPB initiierten Abrüstungsaufruf Anhang 2, aber auch andere wie z.B. der Weltfriedensrat sind gefordert. Die Beschlüsse des Weltkongresses des IZUC (Weltgewerkschaftsbundes) bieten eine gute Grundlage für Kooperationen. Sektiererische Abgrenzungen helfen dabei sicher nicht weiter.
Über was sollten und könnten wir bei uns für 2019 nachdenken?
Wir brauchen eine weitere Dezentralisierung und Regionalisierung der Kampagne, auch und gerade in Vorbereitung der Ostermärsche, die sicher zentral von dem Gedanken der Abrüstung beeinflusst werden. Regionale Friedensforen scheinen ein gutes Mittel und eine interessante Methode zur argumentativen und aktionsmäßigen Unterfütterung der Kampagne zu sein. Strategien und regionale Umsetzungen sollten dort diskutiert werden. Regionale Foren von Kiel bis München aber auch in kleineren Orten wären sicher eine Stärkung der Kampagne. Das Thema Abrüsten können dort in seiner ganzen Vielfalt von Sozial über Ökologisch bis Konversion behandelt werden. Die regionalen Foren sollten auch die ganze Breite der gesellschaftlichen Unterstützung für die Kampagne wiederspiegeln
Wir brauchen 2019 mehr und größere Aktionen oder zugespitzt formuliert: wir müssen 2019 mit den Protesten auch nach Berlin. Ich weiß, dass jetzt das Zögern und Zaudern beginnt aber an den Gedanken einer zentralen Aktion müssen wir ran und auch den Mut und das Zutrauen entwickeln, diese vorzubereiten und zu gestalten. Diese sage ich auch, wissend das die Gefahr des Scheiterns dabei immer miteingeschlossen ist. Aber ohne zentralen zählbaren Protest am Ort der politischen Entscheidungsträger wird es keine Wiederbelebung einer Friedensbewegung geben, die den Namen Frieden und Bewegung verdient. Warum soll es mit der wachsenden Unterstützung für die Kampagne nicht möglich sein, warum sollen wir nicht alte und neue PartnerInnen gewinnen – von „#unteilbar“, über „Seebrücke“ bis „aufstehen“? Warum soll nicht auch die Partei „die Linke“ aktiver mitwirken, die Gewerkschaften real aktiviert werden? Es kann gehen! Wir sollten intensiv darüber diskutieren und sie dann auch gemeinsam in Angriff nehmen.
Ein zentraler Punkt der Weiterentwicklung der Kampagne wird deutlich, wenn wir uns den Erstunterzeichner*innenkreis der Kampagne ansehen. Er geht von vier Gewerkschaftsvorsitzenden, über die Chefs der Umweltverbände, zentrale Persönlichkeiten aus den Kirchen und der Kritischen Wissenschaft bis hin zu prominenten Kulturschaffenden. Diese Zusammensetzung spiegelt sich leider noch viel zu wenig in dem gemeinsamen Handeln und den Aktionen der Kampagne wieder. Den Widerstand zu einem gesellschaftlichen zu entwickeln ist die zentrale Herausforderung.
Der Ausbau der Zusammenarbeit mit den Umweltverbänden bleibt eine wichtige Aufgabe. Hat doch der Deutsche Naturschutzring mit über 8 Millionen Mitliedern, wenn man alle Mitgliedsorganisationen zusammenzählt mehr Mitglieder als der DGB. Der Klimafond der UN ist unfinanzierbar ohne Abrüstung, Rüstung ist einer der größten Umweltverschmutzer, produziert sinnlose Emissionen in großem Umfang. Vieles der so notwendigen Zusammenarbeit bleibt bisher auf dem Papier stehen oder findet nur in teilweise und gar nicht statt. So hat leider im Hambacher Forst die Abrüstungsfrage bisher keine Rolle gespielt. Haben wir von der Friedensbewegung, die dort waren, sie thematisiert?
Flüchtlinge, die großen Aktionen der Seebrücke – die Verbindungen zu Frieden, gegen Krieg und für Abrüstung liegen auf der Hand. Wenn wir uns die Aufrufe ansehen, spielt Frieden bisher keine Rolle. Es ist die Herausforderung für uns, diese Zusammenarbeit zu suchen.
Ein weiteres Feld notwendiger Zusammenarbeit, bei dem Diskussionen sicher notwendig, primitive Verdächtigungen aber unterbleiben sollten, ist die Zusammenarbeit mit „#unteilbar“. Was für eine beeindruckende Aktion von 240.000 meist jungen engagierten Menschen im Oktober in Berlin. Ohne die Zusammenarbeit mit ihnen werden wir unsere Bewegung nicht wesentlich weiterentwickeln können. Im ersten Aufrufentwurf zu den Aktionen war Frieden enthalten, er fiel raus, genauso hat Frieden bei den beeindruckenden Reden auf den Kundgebungen so gut wie keine Rolle gespielt. Konstantin Wecker sei Dank an Frieden erinnert zu haben, in dem Beitrag der VVN kein Wort zum Frieden. Aber ist es nicht unsere Schwäche, unsere „Schuld“? Wo haben wir als Friedensbewegung bisher in den Vorbereitungen, in den vielfältigen Diskussionen eine Rolle gespielt? Auf der Aktionskonferenz von #unteilbar im November konnte eine AG für Frieden eingerichtet werden. Wir sollten vieles tun und unternehmen, die Abrüstungsfrage als die humanistische, solidarische Grundfrage in diese Bewegung zu tragen. Alle sind aufgefordert, dort mitzuhelfen. #Unteilbar ist eine gestaltbare Bewegung, über mögliche inhaltliche Kontroversen sollten wir solidarisch gemeinsam diskutieren.
Eine Hilfe für die Weiterentwicklung der Kampagne ist sicher auch „aufstehen“. Schon bei den Aktionstagen im November waren sie dabei, inhaltlich ist die Abrüstungsfrage bei ihnen sicher noch ausbaufähig. Wie auch bei der Partei die LINKE., die ja mit führenden Funktionsträger*innen zu den Initiator*innen der Kampagne gehört, hier ist noch viel Luft nach oben. Gemeinsamkeit des Handels ist die Herausforderung. Beschlüsse allein können gerade für Linke nicht der Maßstab des Handelns sein.
Sicher werden wir uns auch weiter hin um eine breitere Unterstützung aus der SPD und von den Grünen bemühen. Positivem einzelnem Engagement steht leider nach wie vor eine oft eine Aufrüstung befürwortende Haltung der Führungen gegenüber. Aber Parteien sind keine Denkmäler, sie sind veränderbar. Das ist unsere Aufgabe.
Vormerken sollten wir sicher auch den evangelischen Kirchentag in Dortmund. Frieden wird dankenswerterweise wieder eine stärkere Rolle spielen. Wie stark Abrüstung thematisiert wird, wird auch durch uns mit beeinflusst.
Wer hat schon, das neue Lied von Udo Lindenberg „komm wir ziehen in den Frieden“ gehört? Eindringlicher, mahnender aber auch aktiver können Kulturschaffenden kaum für den Frieden wirken. Wir sollten auf allen Ebenen die Zusammenarbeit mir Künstlerinnen und Künstlern ausbauen. Warum nicht wieder ein großes Friedensfestival wie in den 80er Jahren im und um das Bochumer Ruhrstadium oder in der Westfalenhalle in Dortmund? Kulturschaffenden waren und sind ein Kettenglied für eine gesellschaftliche Bewegung für Abrüstung. Interessant ist ja, dass es wieder zunehmende Artikulierungen von Kulturschaffenden für den Frieden gibt. Auch das ist eine Herausforderung für uns.
Verstärken sollten wir die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Diese solle aber mehr die einzelnen Betriebe und Verwaltungen erreichen. Das letzte Jahr war ein guter Beginn der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Friedens- und Arbeiterbewegung.
Gemeinsame Aktionen mit den Gewerkschaften z.B. am 1. September sind zentral für die Entwicklung der Zusammenarbeit.
Im Mittelpunkt bei all den Aktionen bleibt die Unterschriftensammlung, weil es der Weg zu den Menschen ist, weil sie uns zum Gespräch zwingt, raus aus den eingefahrenen Gleisen, hin zum täglichen Leben. Auf die Menschen zugehen – mit vielen Info-Tischen und Infoständen – bleibt das A und O der Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“.
Wir haben eine große Chance, eine Bewegung für Abrüstung zu entwickeln, sie zu einem wirklichen Faktor der politischen und gesellschaftlichen Debatte werden zu lassen und damit den Rüstungsfanatikern in die Arme zu fallen. Aus dem Samen des Aufrufs ist ein Pflänzchen der 130.000 Unterschriften geworden, jetzt kann es ein stabiler (Friedens)baum einer Bewegung werden Der Frieden hat es verdient!
Reiner Braun, Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB), Mitglied des Arbeitsausschusses „abrüsten statt aufrüsten“ (www.abruesten.jetzt) und des Koordinierungskreises der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ (www. ramstein-kampagne.eu)
Anlage:
1. Aufruf der Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“ mit Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichnern