Expertenaufsatz: Atomwaffen – die verdrängte Bedrohung
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ko-Präsident Club of Rome
► „Ich unterstütze die Initiative abrüsten statt aufrüsten, weil ich die „Modernisierung“ des Atomwaffenarsenals für illegal, vertragswidrig und sehr gefährlich halte. Daher habe ich einen entsprechenden Expertenaufsatz in den neuen Club of Rome-Bericht „Wir sind dran“ aufgenommen.“
Hier ein Unterkapitel aus dem neuen Buch des Club of Rome „Ernst U. v. Weizsäcker und Anders Wijkman. Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Bericht an den Club of Rome. Gütersloher Verlagshaus“.
Drin findet sich auf den Seiten 64-67 der
Kurzbericht, entworfen von David Krieger, Mitglied des Club of Rome, Gründer und Präsident von NAPF (Nuclear Age Peace Foundation).
1.6.2 Atomwaffen – die verdrängte Bedrohung
Eine weitgehend verdrängte Bedrohung sind die Atomwaffen, die tödlichsten aller Massenvernichtungswaffen. Sie sind für die menschliche Zukunft, ja die Zukunft des Lebens auf der Erde, eine sehr ernste Gefahr. Sie sind illegal und unmoralisch, aber sie sind immer noch vorhanden, und es findet immer noch ein Wettrennen um ihre »Modernisierung« statt. Während des Kalten Krieges war ihr Einsatz in einem heißen Krieg die tägliche Sorge. Aber das Ende des Kalten Krieges hat die Befürchtung natürlich in keiner Weise beseitigt. Und sie verschwindet auch nicht, wenn es (gegen alle Erwartung) in Nordkorea zu einem Regierungswechsel kommt.
Verdrängt ist auch die physikalische Erkenntnis, dass ein Atomkrieg zu einem nuklearen Winter führen könnte, der die Temperaturen auf den niedrigsten Wert seit der letzten Eiszeit abstürzen ließe und weite Teile des Lebens auf der Erde auslöschen würde.
Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) von 1970 teilte die Welt in nukleare »Haves« und »Have-nots« ein. Die »Haves« waren die Länder, die bis zum 1. Januar 1967 Atommacht waren und eine Atomwaffe gezündet hatten. Frankreich und China wurden den nuklearen »Haves« hinzugefügt, als sie dem Vertrag später beitraten. Drei Länder traten dem Vertrag nie bei – Israel, Indien und Pakistan – und entwickelten eigene nukleare Arsenale; und Nordkorea zog sich 2003 aus dem Vertrag zurück und hat nun ein kleines Atom-Arsenal entwickelt. Abbildung 1.7 zeigt die heutigen Größenverhältnisse.
Alle neun Atomwaffenländer investieren in die Modernisierung ihrer Arsenale. Die USA plante noch zur Zeit von Präsident Obama Investitionen von einer Billion USD in drei Jahrzehnten. Analogen Ehrgeiz haben die anderen Kernwaffenstaaten. Ziel der Modernisierung ist es hauptsächlich, kleinere, genauere und effizientere Waffen zu entwickeln – um sie für die Militärführung nutzbarer zu machen –, also die Einsatzschwelle zu senken. Die Modernisierung ist übrigens eine klare Verletzung des NPT.
Jonathan Granoff vom Global Security Institute fügt hinzu: Wenn weniger als 1% der 14.000 Atomwaffen in den Arsenalen der Welt explodieren würden, träten bereits Folgen von der Art des nuklearen Winters ein, mit katastrophalen Folgen für die Landwirtschaft, grausigen Strahlenkrankheiten und der Unbewohnbarkeit weiter Landstriche. Schon ein Atombomben-Schlagabtausch zwischen zwei Atommächten, z.B. Indien und Pakistan, könnte zum Ende der menschlichen Zivilisation führen. Wie viel rascher und schrecklicher käme das Ende im Falle eines großen Erstschlags seitens Russlands oder der USA!71
Ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges bleiben immer noch etwa 2.000 Atomwaffen ständig einsatzbereit, um innerhalb weniger Minuten durch einen Befehl gestartet zu werden, wodurch die Zivilisation an einem einzigen Nachmittag des atomaren Schlagabtausches zerstört werden könnte. Diese fürchterliche Tatsache und der brisante Modernisierungswettlauf waren denn auch der Hauptvorwurf eines Völkertribunals im Juli 2016 in Sydney, Australien72, geleitet hauptsächlich vom Club-of-Rome-Mitglied Keith Suter.
Die Bedrohung ist global und die Lösung muss auch global sein. Sie erfordert Verhandlungen mit dem Ziel, Atomwaffen tatsächlich zu verbieten und zu zerstören. Es bedarf eines neuen Rechtsinstruments für die stufenweise, nachprüfbare, irreversible Beseitigung von Atomwaffen. Es muss auf einen Vertrag hinauslaufen, der die Beseitigung von Atomwaffen zuwege bringt, ohne die Welt der Herrschaft konventioneller Mächte zu überlassen. Am Ende muss ein Vertragswerk stehen, das den Wahnsinn (Madness) der Mutually Assured Destruction (MAD) in ein Überlebensgesetz der Planetary Assured Security and Survival (PASS) umwandelt.
71 Weitverbreitete E-Mail von , datiert auf den 16. Dez. 2016.
72 Eine pdf-Version des 46-seitigen Dokuments ist hier abrufbar: International Peoples’ Tribunal on Nuclear Weapons and the Destruction of Human Civilisation. http://www.global-directions.com/ipt.pdf