BREMER FRIEDENSFORUM: Presseinformation 15. September 2020
Bremer Friedensforum zur Anfrage der FDP und zur Antwort des Senats
„Die Zukunft der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Bremen?“
[14. Sitzung der Bremischen Bürgerschaft am 16. und 17. September 2020 – Tagesordnungspunkt 44]
Bremen. Die FDP-Bürgerschaftsfraktion fordert den Senat der Freien Hansestadt Bremen in einer Großen Anfrage dazu auf, die für Bremen „extrem wichtigen“ Rüstungs- und (sogenannten) Sicherheitsunternehmen kräftiger zu fördern: „Mit „ATLAS ELEKTRONIK GmbH“, „Rheinmetall Electronics GmbH“, „Friedrich Lürssen Werft GmbH & Co. KG“ oder „Airbus Defence and Space“ (Geschäftsbereich von Airbus SE) sind große Player in Bremen vertreten. Auf Grund ihrer wirtschaftlichen Kraft ist die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für den Standort Bremen von großer Bedeutung. Tausende Arbeitsplätze hängen vor Ort von ihrer Existenz ab.“
Der Senat hat inzwischen geantwortet (siehe auch Anhang): https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZSDebEaI3ST-qpFSbdfeZC-o1MLRvDwxxpJZsZ4Yp2lV/Drucksache_Land_Drucksache_20-572.pdf
Zur Senatsantwort und zur FDP-Anfrage erklärt das Bremer Friedensforum:
In der Präambel der Bremer Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke für 2019 bis 2023 heißt es: „Unser Handeln orientiert sich an Humanität. Wir setzen uns mit unseren Möglichkeiten für Völkerverständigung und für die friedliche Entwicklung der Welt ein. Dazu gehört auch ein Verbot von Rüstungsexporten in Krisengebiete.“
Des Weiteren gibt es in Bezug zur Umweltproblematik folgende Aussage: „Das Klimaschutzabkommen von Paris und dessen Ziele, die Erderwärmung deutlich unter 2% zu begrenzen, ist Grundlage des Handelns dieser Koalition in allen Produktionsbereichen.“
Zu diesen grundsätzlichen und von uns geteilten Grundsätzen stehen die Forderungen der FDP im absoluten Widerspruch. Auch eine undifferenzierte Wirtschaftsförderung des „Dual Use“ an Bremer Betriebe wie Rheinmetall, OHB, Lürssen-Werft u.a. lehnen wir strikt ab.
Die deutsche Geschichte sollte uns in einem besonderen Maße dem Frieden verpflichten. Es gibt keinerlei belastbare Hinweise darauf, dass unser Land, das der NATO, dem mit Abstand mächtigsten Militärbündnis der Welt, angehört, angegriffen werden soll. Das heutige Vernichtungspotenzial ist so groß, dass es schon jetzt die gesamte Welt in Schutt und Asche legen könnte. Dies gilt besonders für Atomwaffen. Die globalen Rüstungsausgaben belaufen sich auf mehr als zweitausend Milliarden US-Dollar.
Die Bundesregierung und allen voran die Bundesministerin der Verteidigung strebt das NATO-Ziel der Erhöhung auf zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts an. Diese Zielmarke würde für den ohnehin schon überdimensionierten Wehretat eine weitere Erhöhung um erheblich mehr als 20 Milliarden Euro bedeuten.
Alle bisherigen und aktuellen Kriege haben keine Probleme gelöst, sondern noch schlimmere hervorgebracht. Sie haben unfassbar menschliches Leid verursacht. Es gibt wahrlich genug berührende Bilder aus Kriegsgebieten, die das ganze Elend der Menschen und die Wucht der Zerstörung aufzeigen.
Auch wenn wir das Glück hatten, seit nunmehr 75 Jahren auf unserem Territorium von unmittelbaren Kriegshandlungen verschont geblieben zu sein, hat sich Deutschland seit 1999 (völkerrechtswidrige NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien) bei unseren unmittelbaren europäischen Nachbarländern militärisch eingemischt. Dem folgten bis heute andauernde Auslandseinsätze u.a. in Afghanistan, im Irak, in Mali und in Syrien.
Wir sind direkt von den Auswirkungen dieser und von weiteren NATO-Mitgliedern erfolgten kriegerischen Handlungen und deutscher Rüstungsexporte betroffen. Hunderttausende Menschen wurden gewaltsam aus ihren Heimatländern vertrieben, in denen sie nicht mehr friedlich und menschenwürdig leben konnten.
Der Senat drückt in seiner Antwort auf die FDP-Anfrage mehrfach aus, nicht informiert oder nicht zuständig (Bundesangelegenheit) zu sein. Er konzediert, dass es zu sogenannten „Dual-Uses“ (also doppelter Nutzung) der gewährten Wirtschaftsförderung kommt, da Bremer Rüstungsbetriebe oftmals nebenbei auch zivile Produkte herstellen.
In Punkt 9 der Antwort des Senats wird der Förderung militärischer Forschung und Produktion durch Bremische Gelder eine klare Absage erteilt. Das ist erfreulich. Öffentliche Mittel dürfen nach Ansicht des Bremer Friedensforums auf keinen Fall zur Förderung von für militärische Auslandseinsätze und Export vorgesehenen Rüstungsprojekten verwendet werden. Humanitäre Projekte und Forschung für zivile und umweltfreundliche Vorhaben wären zu begrüßen und weitaus lohnender für die Bürgerinnen und Bürger. Die Herausforderung, für eine nachhaltige und friedliche Welt zu investieren und zu produzieren, ist riesig. Viele Arbeitsplätze könnten gesichert und neu geschaffen werden, die Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden sinnvoll eingesetzt.
Der Senat drückt sich allerdings um eine klare Stellungnahme zum offensichtlichen Widerspruch zwischen der proklamierten Handlungsorientierung „Humanität“, „Völkerverständigung“ und „friedliche Entwicklung der Welt“ und der Bremer Realität herum:
In Bremen entwickeln und produzieren die Firmen Rheinmetall Electronic, Atlas Electronic, Airbus Defense und Space, OHB und Lürssen Waffen und Kriegsgeräte, die das Gegenteil von Befriedung und Stabilisierung in Spannungsgebieten bewirken.
Dies gilt
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Kampf- und Transportflugzeuge oder deren Teile in der Airbus Group und Premium Aerotec (Teile des Militärtransporters A400M und des Eurofighters). Airbus Defender und Space gehören zu den führenden Zentren der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland;
• für militärische und geheimdienstliche Auslandseinsätze und Export bestimmte Raumfahrtprodukte (Raketen, Satelliten, Weltraumrobotik) bei OHB, in der Ariane Group und bei Premium Aerotec. Seit OHB sich am SARah-Programm zur Weltraumaufklärung der Bundeswehr beteiligt, gehört der Konzern zu einem Unternehmen mit militärischen Anteilen. OHB ist auch involviert an Planungen für einen „Weltraumbahnhof“ in Nordholz und/oder in der Nordsee;
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Torpedoproduktion, bzw. ihre Sensorik und Steuerung, bei ATLAS ELEKTRONIK GmbH und Rheinmetall Electronics GmbH. Atlas Electronic bietet Unterseebootsysteme wie Torpedos an. Rheinmetall Electronics liefert Missionsausstattungen sowie Ausbildungs- und Trainingslösungen an Streitkräfte. Das Systemspektrum umfasst automatische Zielerfassungssysteme, Laserzielsysteme, Simulatoren für Kampfflugzeuge, Gefechtsübungszentren;
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Kriegsschiffproduktion oder deren Teile in der Friedrich Lürssen Werft GmbH & Co. KG; Lürssen hat die Führungsrolle im deutschen Marine-Werftenverbund übernommen. Die geplante Aufrüstung der deutschen Bundesmarine mit weltumspannenden Einsatzmöglichkeiten ist ein fatales Signal für noch mehr Auslandseinsätze. Die vier Fregatten (F 125), die fünf Korvetten (K 130), aktuell sind fünf weitere Neubauten dieses Typs im Gespräch, und die sechs „Mehrzweckkampfschiffe“ (MKS 180) sind zum Großteil für kommende Auslandseinsätze konzipiert. Dem Jahresbericht 2019 des Marinekommandos ist zu entnehmen, dass zum Beispiel die „Mehrzweckkampfschiffe“ für den weltweiten Einsatz zur „dreidimensionalen Seekriegsführung“ (Ziele unter Wasser, auf dem Wasser und in der Luft) vorgesehen sind.
Die Umstellung von Rüstungs- auf Zivilproduktion gehört weiterhin auf die Tagesordnung. Die Sorge der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie um ihre Arbeitsplätze ist nachzuvollziehen, doch könnten die Bremer Betriebe die Alternativen für zivile Produktion vertiefen. Zusammen mit den Beschäftigten und ihren Betriebsräten, mit Wissenschaftlern der Universität, sollte die Rüstungskonversionsinitiative des Bremer Senats ab 1991 wieder angegangen werden.
Beispielsweise könnte für die Lürssen-Werft als Alternative zu Kampfschiffen eine Auftragsvergabe zum Bau von Schiffen für die Bergung von insgesamt 1,3 Millionen Tonnen Munition der Altlasten des Zweiten Weltkriegs in der Nordsee und 300.000 Tonnen in der Ostsee erfolgen. Für die anderen Firmen dürfte es ebenfalls Möglichkeiten geben, die zivilen Sparten zu stärken.
Nur für diese und keine anderen Bereiche sollte die Bremer Wirtschaftsförderung Mittel zur Verfügung stellen und es verbinden mit weiteren Konversionsbemühungen aller Bremer Rüstungsbetriebe. Es gilt, ausschließlich für humanitäre und ökologische Projekte nachvollziehbare und kontrollierbare Maßnahmen zu ergreifen.
Der Klimawandel ist die Folge jahrzehntelanger falscher industrie- und energiepolitischer Entscheidungen und wird heute von der großen Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als solcher anerkannt. Die Erwärmung der Erdatmosphäre muss gestoppt werden, anderenfalls drohen unumkehrbare gravierende Konsequenzen und millionenfaches Leid. Die Eispanzer der Antarktis, Arktis und Grönlands, die Gletscher in aller Welt schmelzen bereits rasant. Der Permafrostboden Sibiriens beginnt zu tauen, das System des Golfstroms flaut ab. Häufigere und immer extremere Hitze, Stürme, Dürren, Brände, Bodenerosion und Überflutungen kennzeichnen eine Klimakrise, die bedrohlich für das Überleben auf unserem Planeten werden kann.
In der aktuellen Debatte um Klimaschutz werden die Folgen von Militär und Kriegseinsätzen sowie von bevorstehenden „Klimakriegen“ zur Abwehr von Klimaflüchtlingen und dem Kampf um verbliebene Lebensräume, Wasser und Rohstoffe absolut vernachlässigt. Das sozial-ökologische Institut für Wirtschaftsforschung hält jedenfalls Krieg und Militär für den Klimakiller Nr. 1.
Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Rüstung liegt in der gigantischen Ausbeutung und Verschwendung natürlicher Rohstoffe und dem gewaltigen Einsatz von Energie für die Produktion des Kriegsmaterials. Erhebliche Belastungen für unsere natürliche Umwelt entstehen durch die Errichtung einer entsprechenden Infrastruktur, durch Übungseinsätze, durch Manöver und durch den militärischen Einsatz selbst.
Die Stahlproduktion und die Herstellung von Beton bedingen hohe CO2- Emissionen. Für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, für Über- und Unterwasserschiffe wird bester Stahl; für die betonierten Verkehrswege Beton bzw. Zement benötigt. Das Militär ist einer der größten Erdölverbraucher weltweit. Der enorme Treibstoffverbrauch von Kriegsflugzeugen und -schiffen wird in dem Verbrauch von 70 bis 100 Liter Kerosin pro Minute (!) deutlich. Allein auf der umstrittenen US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz werden bei jährlich 30.000 Starts und Landungen 1,35 Milliarden Kubikmeter klimaschädliche Abgase freigesetzt. Boden, Wasser und Luft werden durch Chemikalien in der Nähe von Militärbasen vergiftet.
Den Zusammenhang zwischen Rüstung und Umweltverschmutzung haben erfreulicherweise die Aktivisten von Fridays for Future erkannt, so führten sie im August in Bremen eine Aktionstour mit dem Ziel Rheinmetall durch.
Bereits Anfang April hatte Greenpeace in einem offenen Brief an führende deutsche Rüstungsunternehmen appelliert, (…) die Verkäufe von Waffen, Munition und anderen Rüstungsgütern insbesondere an Staaten, die in Konflikte verwickelt sind, zu stoppen und zum anderen statt Rüstungsgütern jetzt dringend benötigtes medizinisches Gerät und Material zu produzieren sowie Pläne für eine nachhaltige Konversion ihrer Unternehmen zu entwerfen. Der Brief ging laut Greenpeace an Rheinmetall, Thyssenkrupp Marine Systems, Heckler & Koch, Jenoptik, Airbus, Krauss-Maffei Wegmann, Diehl, MTU Aero Engines, Hensoldt, MBDA, Lürssen, German Naval Yard und Sig Sauer.
https://www.aufschrei-waffenhandel.de/daten-fakten/ruestungskonversion/
Das Bremer Friedensforum fordert den Senat und die Bremische Bürgerschaft auf, den oben zitierten unterstützenswerten Worten in der Präambel der Regierungskoalition von SPD, Grünen und Linken für 2019 bis 2023 auch reale Taten folgen zu lassen.
Bremen, 15. September 2020
Anne Biermann-Asseln, Rodolfo Bohnenberger, Wolfram Elsner, Ekkehard Lentz
Anhang:
FDP-Anfrage und Senatsantwort Drucksache_Land_Drucksache_20-572.pdf
Stellungnahme Bremer Friedensforum BREMER FRIEDENSFORUM zur FDP-Anfrage und Senatsantwort.pdf