Für eine neue Politik der Entspannung und für Frieden
Interview mit Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands*
100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs erleben wir weltweit eine neue Phase von Hochrüstung und Kriegsgefahr. Werden wir bedroht?
Michael Müller: Willy Brandt hat Hochrüstung als Wahnsinn bezeichnet. Das ist unverändert richtig. Wer Frieden will, muss für den Frieden arbeiten, statt für Krieg zu rüsten. In der schnell zusammenwachsenden Welt ist die Menschheit auf Kooperation und Verständigung angewiesen, nicht auf Konfrontation und Säbelrasseln. Heute ist nicht nur der alte Ost-West- Konflikt vorbei, sondern auch die Epoche der Nationalstaaten und Wachstumsgesellschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten politische Handlungsfähigkeit und soziale Integration ermöglicht haben. Aber die Politik ist in der alten Zeit geblieben. Die Folgen sind ein sich ausbreitender Nationalismus und neue Kriegsgefahren. Wie vor 100 Jahren löst der entfesselte Kapitalismus durch die Globalisierung der Märkte erneut nationalistische Bewegungen aus und fördert eine Militarisierung der Politik. Damals führte das zur schrecklichen Ideologie der Volksgemeinschaft mit all den bekannten Folgen. Heute betreten die Trumpisten die Weltbühne. Die Fundamente, die in den 1980er Jahren u.a. mit der Entspannungspolitik geschaffen wurden, sind weggebrochen. Wir brauchen eine starke Friedensbewegung, die für eine neue Entspannungspolitik kämpft.
Was bedeutet das Nato-Ziel „2 Prozent des BIP für Rüstung“ für unser Land?
MM: 30 Milliarden Euro mehr für das Militär würde vor dem Hintergrund der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt erhebliche Kürzungen in wichtigen sozialen und innenpolitischen Bereichen bedeuten. Dabei brauchen wir mehr Geld für die Modernisierung der Infrastruktur, die Verbesserung der Bildung und den Schutz der Natur.
Der deutsche Außenminister sieht Russland als „Feind“. Den Giftgasanschlag in Salisbury, bei dem es keine Beweise für eine Täterschaft gibt, nahm er zum Anlass, um Russland massiv abzustrafen. Woher rührt die neue Aggressivität?
MM: Die gegenwärtige Politik der Abgrenzung, Konfrontation und Rechthaberei kann nicht zu dem führen, was wir tatsächlich brauchen, nämlich die Kooperation im gemeinsamen Haus Europa. Es geht nicht darum, Kontroversen und Unterschiede zu ignorieren, sondern um die Suche nach Gemeinsamkeiten. Gerade weil es heute um eine grundlegende Neuordnung der Welt geht, brauchen wir eine Stärkung Gesamteuropas, nicht nur der EU. Das erfordert, die Geschichte zu kennen und gemeinsame Interessen zu beachten. Ich habe den Eindruck, dass in unserer taumelnden Zeit eigene Schwächen und Unsicherheiten auch zu Abgrenzungen und Überhöhungen führen.
Trump lässt massiv aufrüsten. Und fordert Vergleichbares von Europa. Das wird in Berlin und Brüssel teilweise positiv aufgegriffen. Gibt es Gründe, die Forderungen des US-Präsidenten zu erfüllen?
MM: Donald Trump ist nahe bei Ronald Reagan. Dieser ehemalige US-Präsident betrieb mit der gewaltigen Aufrüstung der USA einen „schmutzigen Keynesianismus“, um die angeschlagene amerikanische Wirtschaft zu stabilisieren. Deutschland und die EU würden mit einer massiven Aufrüstung nicht nur die Chancen, die sich aus dem Ende der zweigeteilten Welt ergeben haben, endgültig verspielen. Sie würden sich auch auf die Seite der Falken in den USA stellen, obwohl das Land politisch gespalten ist und es dort auch ganz andere Stimmen gibt. Wir müssen hier gegenhalten. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik, die in Europa anfängt, aber auch global zum Vorbild werden kann.
*Dieses Interview ist zuerst in der zeitung gegen den krieg nr. 42/2018 erschienen. www.zeitung-gegen-den-krieg.de